Ein Erziehungsratgeber, der uns prägt

Blog-Pod I Simone Bendzulla-Achtermann I #04 Ein Erziehungsratgeber, der uns prägt

23.09.2023 I alle Beiträge, allgemein, Emotionale Entwicklung

Wie alles begann…

Schreien kräftigt die Lungen!

Lass das Kind schreien, sonst verwöhnst du es noch!

Dein Baby tyrannisiert dich!

Oh, wie ich diese Sätze liebe🥴😬 und wie oft ich sie immer noch höre.

Vor allem herrscht diese Meinung häufig auch noch in meiner  (und älteren) Generation.

Wie kann sich diese Meinung so lange halten, obwohl wir doch wissen, dass diese Aussagen grundverkehrt sind und die Kindern in ihrer emotionalen Entwicklung schaden?

Das Geheimnis ist ein Erziehungsratgeber aus der Nazi-Zeit.

Ja, du hast richtig gelesen – aus der NAZI-ZEIT!

Das Buch Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind wurde von der Ärztin Johanna Haarer 1934 in der 1. Auflage veröffentlicht. Ziel dieses Buches war ein unüberwindbarer Gehorsam ohne jegliche Bindungsfähigkeit – also perfekt für die damalige Zeit.

Zitate

Um diese Katastrophe noch besser zu verstehen, gibt es hier erst einmal einige Zitate aus dem Buch:

„Der Säugling ist von Natur aus unreinlich und soll dabei doch möglichst zur Reinlichkeit aufgezogen werden.“

„Die Dauer des Badens sei besonders beim ganz kleinen Kind oft so kurz wie möglich. Kein Spielen im Bad, kein Bummeln!“

„Das Kind wird gefüttert, gebadet und trockengelegt, im übrigen aber vollkommen in Ruhe gelassen. Am besten ist das Kind in einem eigenem Zimmer untergebracht indem es dann alleine bleibt.“

„Von vornherein mache sich die ganze Familie zum Grundsatz, sich nie ohne Anlaß mit dem Kind anzugeben.“

„…, daß es Kinder gibt, die trotz einwandfreier Pflege und fabelhafter körperlicher Verfassung, einfach zum Zeitvertreib schreien.“

„Versagt auch der Schnuller, dann, liebe Mutter, werde hart! Fange nur ja nicht an, das Kind aus dem Bett herauszunehmen, es zu tragen, zu wiegen, zu fahren oder es auf dem Schoß zu halten, es gar zu stillen. Das Kind begreift unglaublich rasch, dass es nur zu Schreien braucht, um eine mitleidige Seele herbeizurufen und Gegenstand solcher Fürsorge zu werden. Nach kurzer Zeit fordert es diese Beschäftigung mit ihm als Recht, gibt keine Ruhe mehr, bis es wieder getragen, gewiegt oder gefahren wird – und der kleine, aber unerbittliche Haustyrann ist fertig.“

Es betrifft auch noch uns

Nach dem 2. Weltkrieg wurde dieses Buch verboten, aber in einer überarbeiteten Fassung als Die Mutter und ihr erstes Kind wieder herausgegeben. Die letzte Auflage dieses „Ratgebers“ kam letztendlich 1987 heraus.

Mit anderen Worten: dieser Ratgeber war noch bis in den 90er Jahren in den Regalen unserer Mütter und Omas zu finden.

Die Generationen vor uns haben ganz sicher versucht, das Beste zu geben.

So gruselig es auch ist. Aber sie wussten es einfach nicht besser.

Und doch ist es jetzt an der Zeit, ihnen ganz deutlich zu sagen, woher ihr Wissen über die Kindererziehung kommt.

Manchmal, wenn zum gefühlten 10. mal so ein ungefragter Vorschlag kommt, ist es recht heilsam, dem Gegenüber einfach mal vor den Latz zu knallen, dass diese Erziehungsempfehlung den Ursprung im Nationalsozialismus hat.

Wir dürfen es verändern

Ich bin ja ein Kind der frühen 70.er Jahre, so dass auch meine eigene Erziehung ganz sicher in einigen Dingen durch diesen Ratgeber Die Mutter und ihr erstes Kind geprägt war. Ja, und es hat einiges mit mir gemacht.

Das Gute daran ist aber, dass wir nicht die gleichen Fehler machen „müssen“ wie unsere Eltern oder Großeltern. Jeder darf jetzt für sich entscheiden, welchen Weg er gehen möchte.

Lasst uns gemeinsam aufklären.

Lasst uns unsere eigenen „Erziehungsmaßnahmen“ und Aussagen immer wieder hinterfragen.

Und lasst uns NIE unsere Kinder dabei vergessen.

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